Allgemeiner Hinweis
Die nachfolgenden Rechtsfragen wurden aus der Publikation "Rechtsfragen bei Erster-Hilfe-Leistung drch Ersthelferinnen und Ersthelfer" in der 10. geänderten Auflage aus dem Juli 2018 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) entnommen.
Grundsätzlich macht sich jeder Mensch gemäß §323c Strafgesetzbuch wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar, wenn er bei einem Notfall nicht unverzüglich die ihm bestmögliche (seinen Fähigkeiten entsprechende) Hilfe leistet.
Die Pflicht zur unmittelbaren Hilfeleistung entfällt nur, wenn die Hilfeleistung nicht zumutbar ist, beispielsweise
wenn die Hilfeleistung mit einer erheblichen eigenen Gefahr verbunden ist, z.B. ist eine Nichtschwimmerin bzw. ein Nichtschwimmer nicht dazu verpflichtet, in tiefes Wasser zu springen, um einen ertrinkenden Menschen zu retten, oder
wenn die Hilfeleistung mit der Verletzung anderer wichtiger Pflichten verbunden ist, z.B. wenn eine Person mit ihrem eigenen kleinen Kind am Abgrund steht, braucht sie es nicht allein zu lassen, um einem anderen Menschen Erste Hilfe zu leisten.
Ist eine unmittelbare Hilfeleistung nicht zumutbar, so kann aber zumindest das Herbeiholen weiterer Hilfe oder Absetzen des Notrufes als „zumutbare“ Maßnahme im Sinne des §323cStGB verstanden werden. Ebenfalls muss keine Hilfe geleistet werden, wenn diese bereits mit Sicherheit von anderer, z.B. ärztlicher, Seite erfolgt.
Strafbar macht sich nur, wer eine Hilfeleistung vorsätzlich (bewusst und gewollt) unterlässt und damit zumindest billigend in Kauf nimmt, dass der verletzte oder erkrankte Mensch keine (rechtzeitige) Hilfe erhält. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Erste Hilfe leistende Person eindeutig erkennt, dass ein Mensch verletzt wurde oder lebensgefährlich erkrankt ist, sie aber dennoch keine Erste Hilfe leistet bzw. Hilfe herbeiruft.
Im Rahmen einer Erste-Hilfe-Leistung kann die Erste Hilfe leistende Person grundsätzlich nicht zum Schadensersatz herangezogen werden, es sei denn, sie handelt grob fahrlässig oder vorsätzlich.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn dem Ersthelfer oder der Ersthelferin persönlich vorgeworfen werden kann, einfachste Überlegungen nicht angestellt bzw. Regeln der Ersten Hilfe, die allgemein einleuchten, nicht beachtet zu haben. Das Fehlen von Wissen und Erste-Hilfe-Praktiken kann ihm oder ihr grundsätzlich nicht als grobe Fahrlässigkeit angelastet werden.
Grobe Fahrlässigkeit liegt nur in Ausnahmefällen vor. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn die Ersthelferin oder der Ersthelfer es unterlässt, die Unfallstelle auf einer dicht befahrenen Straße abzusichern bzw. absichern zu lassen – obwohl die Möglichkeit dazu besteht (Warndreieck, anderes Fahrzeug) – und dadurch ein nachfolgendes Fahrzeug in die Unfallstelle hineinfährt, das weiteren Personenschaden verursacht.
Vorsätzliches Verhalten liegt immer dann vor, wenn bewusst und gewollt bei einer Hilfeleistung eine Verletzung zugefügt oder ein Schaden verursacht oder dies zumindest billigend in Kauf genommen wird.
Grundsätzlich kann die Ersthelferin oder der Ersthelfer weder zum Schadensersatz für die Beschädigung fremder Sachen (z.B. zerschnittene Kleidung der verletzten Person) noch für eine ungewollt zugefügte Körperverletzung (z.B. Rippenbruch bei der Herzdruckmassage) herangezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn die Erste-Hilfe-Maßnahmen letztlich erfolglos waren
Sind mit der Hilfeleistung zugunsten Verletzter ein eigener Schaden oder Aufwendungen verbunden, kann die Erste Hilfe leistende Person den Ersatz verlangen. Von der oder dem Verletzten kann sie die Aufwendungen für unvermeidbare Sachschäden verlangen.
Sachschäden sind z.B. Schäden an der Kleidung der Erste Hilfe leistenden Person oder an ihrem zur Sicherung der Unfallstelle abgestellten Kraftfahrzeug.
Je nach Gegebenheiten kann die Erste Hilfe leistende Person ihre Schadensersatzansprüche (Körperschaden, Sachschaden) aber nicht nur bei der oder dem Verletzten, sondern auch direkt bei dem zuständigen gesetzlichen Unfallversicherungsträger geltend machen.
Die erlittenen Sachschäden kann sie in diesem Fall gegenüber dem verpflichteten Unternehmer geltend machen.
Wird Erste Hilfe in der Freizeit oder zu Hause geleistet, steht die Erste Hilfe leistende Person hinsichtlich ihrer Körper- und Sachschäden unter dem Schutz des örtlich zuständigen Unfallversicherungsträgers der öffentlichen Hand. In diesen Fällen ist sie kraft Gesetzes beitragsfrei im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung gegen erlittene Personen- und Sachschäden versichert, die ihr bei der Hilfeleistung widerfahren.
Bei Körperschäden hat die Ersthelferin oder der Ersthelfer bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen gegen den zuständigen gesetzlichen Unfallversicherungsträger insbesondere den Anspruch auf kostenlose Heilbehandlung, Verletzten- bzw. Übergangsgeld, besondere Unterstützung, Berufshilfe und Verletztenrente.
Kommt es trotz der Hilfeleistung zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder gar zum Tod des verletzten Menschen, so macht sich eine Ersthelferin oder ein Ersthelfer grundsätzlich nicht strafbar, wenn die Hilfeleistung mit der gebotenen Sorgfalt, d.h. persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten und den Umständen entsprechend, durchgeführt wurde. Das Gleiche gilt, wenn der verletzten Person im Zuge der Erste-Hilfe-Leistung zusätzliche Körperschäden zugefügt werden.
Solange eine Erste Hilfe leistende Person unter Beachtung der gebotenen Sorgfalt Erste Hilfe leistet, macht sie sich nicht wegen fahrlässiger Körperverletzung oder sogar fahrlässiger Tötung strafbar. Eine Bestrafung wegen Fahrlässigkeit scheidet auch dann aus, wenn eine später eingetretene Schädigung für sie nicht voraussehbar (z.B. Wundinfektion trotz sachgerechter Wundbedeckung) bzw. für sie nicht vermeidbar war. Bezüglich der Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass sie in der Ausnahmesituation des Notfalls – bei akuter Gefahr – rasch entscheiden und handeln muss, wobei in der Notlage gerade eine Abwägung alternativer Maßnahmen oft sehr hohe bzw. zu hohe Anforderungen darstellt (z.B. Seitenlage bei Bewusstlosen und dadurch Verschlimmerung einer Brustkorbverletzung). Hilfeleistung ist für sie keine Routinehandlung.
Eine vorsätzlich falsche Handlungsweise der Ersthelferin oder des Ersthelfers kann im Regelfall ausgeschlossen werden.
Entsteht durch eine notwendige Erste-Hilfe-Leistung (z.B. Fortschleifen eines verletzten Menschen von einer dicht befahrenen Straße) eine Körperverletzung (z.B. Schnittwunden durch Fortschleifen über Glassplitter), so kann der hilfeleistenden Person daraus kein Vorwurf gemacht werden, da sie für ihre Handlungsweise eine mutmaßliche Einwilligung voraussetzen kann. Die Handlung (hier: Fortschleifen) wird nämlich im Interesse des verletzten Menschen vorgenommen (um nicht überfahren zu werden), um eine weitergehende Schädigung zu vermeiden, und dieser würde vermutlich einwilligen, kann es aber (z.B. wegen Bewusstlosigkeit) nicht rechtzeitig.
Der Vorwurf einer fahrlässigen Unvorsichtigkeit entfällt, wenn die betroffene Person in ihrer offensichtlichen Notlage eine ihr geeignet erscheinende Maßnahme ergreift, die sich nachträglich und in aller Ruhe betrachtet als nicht zweckmäßig herausstellt.
Müssen im Zuge der Ersten-Hilfe-Leistungen Sachen beschädigt werden, wird die Ersthelferin oder der Ersthelfer in der Regel nicht wegen Sachbeschädigung zur Verantwortung gezogen. Denn unter dem Gesichtspunkt des „rechtfertigenden Notstandes“ handelt nicht rechtswidrig, wer z.B. zur Abwendung einer Gefahr für die Gesundheit der verletzten Person (z.B. starke Blutung aus offener, durch die Kleidung verdeckter Wunde) eine Sachbeschädigung begeht (Zerschneiden der Kleidung). Es überwiegt wieder deren geschütztes Interesse (Gesundheit/Leben) das beeinträchtigte Interesse (Unversehrtheit der Kleidung) wesentlich.
Es könnte auch der Fall eintreten, dass eine Ersthelferin oder ein Ersthelfer im Rahmen der Hilfeleistung eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat begeht.
Auch in diesen Fällen ist die Handlung der Erste Hilfe leistenden Person im Rahmen des „rechtfertigenden Notstandes“ gerechtfertigt und somit normalerweise straffrei. Sie begeht nämlich diese Ordnungswidrigkeit in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für das Leben und die Gesundheit eines verletzten Menschen, um die Gefahr durch Verschlimmerung des Zustandes wegen fehlender ärztlicher Hilfe von ihm durch Herbeirufen ärztlicher Hilfe abzuwenden. Dabei überwiegt dessen geschütztes Interesse (Gesundheit, Leben) das beeinträchtigte Interesse (u.a. Einhaltung der Straßenverkehrsregeln) wesentlich. Entsprechendes gilt auch für den Fall, dass sich eine Person im Rahmen der Erste-Hilfe- Leistung, z.B. bei Fehlen einer Telefonzelle oder einer anderen Meldemöglichkeit, durch Zerschlagen einer Fensterscheibe (Sachbeschädigung) in das – weit und breit – einzige Haus Eintritt verschafft (Hausfriedensbruch), um von dem dort von ihr vermuteten Telefon einen Notruf abzugeben. Auch hier ist dann ihre Handlung wegen der Lebensgefahr für den verletzten Menschen in der Regel gerechtfertigt.